Pflegestelle Nadja zum ersten Mal im
Tierheim von  Caserta

Mitten in der Nacht traf ich mich mit Giovanna, um das mit

Spenden vollgeladene Auto Richtung Süden zu besteigen.
Nach elf Stunden Fahrt die
Ankunft im Tierheim von Caserta...noch während der Begrüßung „der
Mädels“ wurde die letzte der beiden Katzen zugenäht, die aus einer wilden
Gruppe zum Kastrieren von engagierten Menschen vorbeigebracht worden waren.
Kurz danach lag ein alter, kranker, verwahrloster Hund zum Einschläfern auf dem
Tisch. Ein verwirrter Kerl, der Körper eine einzige, irreparable Baustelle.
Giovanna musste noch den letzten Papierkram erledigen, dann
wurde das Auto entladen.
Danach ein erster von vielen folgenden Gängen durchs
Tierheim...
...eine gigantische Zwingeranlage...
Mauern, Zäune, Freiläufe...Hunde über Hunde. Überall.
Ein Gang nach dem anderen, alles voller Hunde – groß und
klein, alt und jung, gesund und krank, schön und hässlich, freundlich,
schüchtern, gierig, böse...es war überwältigend.
Ein ohrenbetäubendes Gekläff, sobald man die Gänge zwischen
den Zwingern betritt. Nur Giovannas Ohr war trainiert genug, um in all dem Lärm
herauszuhören, ob in einem Zwinger die Stimmung kippt: von Aufregung zu
Aggression. Die beiden Male, die ich es miterlebt habe, war das in den Rudeln
ohne Freilauf.
Die Außenwelt beginnt erst in einer Höhe von einem Meter
zwanzig. Bis dahin ist Mauer. Wer groß genug ist, um sich auf die Hinterbeine
zu stellen oder schmal genug, um auf den kleinen Vorsprung zu passen, sieht
vielleicht 20 Meter Tierheimgelände – die anderen nichts außer der Mauern und
dem, was direkt vor dem Zwinger passiert. Also nichts.
Es ist ein unglaublich reizarmes Leben, das dort verbracht
werden muss.
Entsprechend hoch ist die Frustration bei den
Schlechtgelaunten, die Gier nach Kontakt bei den Menschenfreunden und der
Stress bei den Ängstlichen, wenn mal etwas außerhalb des Trotts passiert...
Eine fremde Frau durch die Reihen läuft, die nach Pferd
riecht...manchen hat es bei meinem Anblick gleich in den Rückenhaarwurzeln
gekribbelt, manche konnten garnicht genug bekommen von dem interessanten Geruch
und haben mir fast die Kleidung vom Leib inhaliert. Viele habe ich gesehen, die
gern würden, aber das Pech haben einem scheuen Rudel anzugehören, sodass sie
sich dem Verhalten der Gruppe anpassen und zurückbleiben. Es war furchtbar und
interessant zugleich, die verschiedenen Rudel und deren Verhalten zu beobachten
– einerseits ein Lehrstück angewandter Hundesprache, andererseits der greifbare
Dauerstress, die spürbare Unterforderung aller Sinne...
Überall Hundemist.
Sechs Tage die Woche werden die Zwinger mit Wasser sauber
gespritzt. Da der Winter dort mehr nass als frostig ist, ist es jetzt immer
nass im Zwinger. Immer.
Schon am ersten Tag war ich geläutert und demütig. Von mir
kommt kein überhebliches Zeugnis mehr über Zustände, die ich mangels Erfahrung
nicht beurteilen kann! Das war eine lehrreiche Reise in puncto Vorurteile und
Ahnungslosigkeit.
Ich habe nur einen klitzekleinen Einblick erhalten, aber so
viel dabei gelernt. Vieles muss sich erst noch setzen, ist noch nicht zu den
meinungsbildenden Bereichen meines Hirns durchgedrungen. Von vielem weiß ich
noch viel zu wenig.
Ich habe Rudel auf den Straßen der nahen Umgebung gesehen
und Giovannas Worte im Ohr: das ist das Rudel um denundden Platz, die sind
bereits kastriert...sie sagt das einfach so! Ich möchte am liebsten den Boden
küssen, auf dem sie geht, denn ich habe gerade das erste Mal 11 Stunden in
einem Auto voller Leintücher, Medikamente, Kanülen und Einweghandschuhe
(Decken, Körbe, Näpfe, Spezialfutter...!!!) gesessen und den OP gesehen, den
sich unsereiner vielleicht im afrikanischen Busch, aber nicht in einer
Tierarztpraxis vorstellen mag. Und ich habe noch nicht einen Hund von der
Straße „gepflückt“, operiert und wieder in sein Revier gebracht.
Aber ich habe die Frauen jeden Alters gesehen, die dort in
ihrer freien Zeit all die Arbeiten erledigen, für die anderswo schlicht niemand
da ist. Die werden in anderen Tierheimen einfach nicht gemacht. Mit allen Konsequenzen.
Zusätzlich kümmern sie sich um Vermittlungen,
Öffentlichkeitsarbeit, Aufklärung, Beschaffung von Mitteln und die komplette
Tierarztpraxis. Meine Hochachtung für sie. Das wäre definitiv kein Hobby für
mich! Die Tiere, die dort in die Praxis kommen, haben andere
Gesundheitsprobleme als alle Kleintiere, die ich in meiner bisherigen (langen!)
Tierliebhaber - Laufbahn zu Gesicht bekommen habe. Das auszuhalten erfordert
schon eine besondere Hingabe. Hierzulande wären solche Fälle (vor allem
früher!) einem Tierarzt hingelegt worden, auch von jedem hundertsten Passanten.
Dort ist es vielleicht jeder Fünfhundertste?
Ich weiß es nicht.
Aussetzen ist gängig,
um ein unpassend gewordenes Tier loszuwerden, dementsprechend hoch ist die Zahl
derer, die einen Autounfall überlebt haben. Viele Blinde habe ich gesehen, auch
Junge, über die Ursache dafür kann ich nur spekulieren.
Und so viele, deren einziges Vergehen es gewesen sein mag,
zur falschen Zeit am falschen Ort
gewesen zu sein, die nun eingeknastet sind. Lebenslänglich. Zwinger.
Keine noch so kleine, nebensächliche Aufgabe.
Freundliche, offenherzige Gesellen, die wissen, dass es
Harmonie gibt – woher auch immer – und sich offensichtlich danach sehnen.
Scheue, die aber ebenso stabil freundlich und höflich sind.
Und Giovanna sieht sie alle. Lernt sie kennen. Begleitet
sie.
Schlägt Brücken und versetzt Berge, um ihnen die Chance zu
schaffen, ein Leben der Möglichkeiten zu leben.
Ja, das hat mich sehr beeindruckt.
Ich habe sie gesehen, die Hunde, die dort definitiv nicht
hingehören, deren Leben hinter Gittern verschwendet wird. Sie haben mich
berührt, ihre Tapferkeit angesichts massenhafter Verwirrung und chronischer
Langeweile. Ich schaue mir nun manchmal Ennio an und frage mich: wie würde er
sich verhalten entzöge man ihm, dem Ausbund an Zugewandtheit und Fitness, von
einem Tag auf den anderen kommentarlos Alles. Und ließe ihn auf 2, 12 oder 20
Quadratmetern in seinem und fremder Hunde Kot warten. Futter, Wasser, Wurmkuren
und Impfungen. Kein stabiles Rudel. Vielleicht sogar ein paar Miesepeter im
selben Zwinger.
Mich hat es den Entschluss fassen lassen mehr zu tun für
die, deren Chance vielleicht an MEINEM seidenen Faden hängt. Meine Tätigkeit
als Pflegestelle wird auf jeden Fall ausgebaut. Gute Tiere auf ihren Job als
Menschenbegleitung vorbereiten – dafür habe ich genug Hingabe, die mich Zeit
und Kraft aufwenden, Arbeit und Probleme bewerkstelligen lässt.
Einem oder zwei
Hunden im Jahr das Sprungbrett zu bieten reicht mir jetzt nicht mehr. Es macht
Arbeit (die ich mir nun besser strukturiere) UND echte Freude, ihnen beim
Entfalten zuzusehen. Sie in ein schönes Leben überreichen zu können hat eine
neue Qualität erhalten. Uns (und unseren Hunden!) geht es so gut!!!
(An dieser Stelle
herzliche Grüße an Luzzi, Zita, Bella, die M&Ms und Frodo mit Familien!
Erst jetzt habe ich das Ausmaß eures Happy Ends erfasst! Es verdoppelt die
Freude darüber!)
Ich freue mich neuartig auf die Ankunft der nächsten
Pfleglinge!

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