...als wär` es gestern gewesen - an den Tag, als Noir hier ankam. Wenn ich ganz, ganz ehrlich bin, muss ich zugeben, dass ich bei seinem Anblick ganz im Geheimen gedacht hab`, was der deutsche Tierarzt bei der Erstuntersuchung ganz ungeniert laut gesagt hat.

Macht das wirklich Sinn?

Einen so alten Hund nochmal aus seiner gewohnten Umgebung zu reißen? Er kann ja so unglücklich nicht gewesen sein, denn er kennt schließlich nichts anderes. Überhaupt - lohnt sich das denn - für die paar Monate? (Wenn er nicht gar auf der Stelle stirbt - so klapprig, wie der ist...Zwinkernd)

Und dann hat mir Noir, der mit dem neuen Leben auch einen neuen Namen bekommen hat - nämlich Lucca - eine unvergessliche Lektion erteilt.

Seine Pfoten bluteten auf dem ungewohnten Untergrund. Alle paar Meter rutschte er auf dem glatten Boden aus (es war Dezember und wir hatten Schnee und Eis) Aber NIE, KEIN EINZIGES MAL hat er bei unseren Gassigängen von selber umgedreht. Dieser Hund war wie im Rausch. Im Rausch der neuen Gerüche, der nie gehörten Geräusche, der immer anderen Aussichten. Im Rausch des GERADEAUSGEHENS in einer Welt, die zum ersten Mal in seinem Leben nicht nach fünf Metern zuende war.

Jedes Mal, wenn ich die Küche betrat - und wo immer ich ihn darin vorfand - lag er auf der Decke, die sein Frauchen mir zwecks Gewöhnung an den Geruch des zukünftigen Zuhauses für ihn mitgegeben hatte. Diese Decke - eigentlich nur ein besseres Stück Stoff und weder besonders flauschig noch besonders dick - war das erste Bisschen Bequemlichkeit, das er je in seinem Leben besessen hatte - und er musste es immer bei sich haben und überallhin mitnehmen. Den Ausdruck in seinem Gesicht, wenn er sie umständlich zurechtgezogen und sich dann mit einem wohligen Seufzer darauf niedergelassen hatte, werde ich nie vergessen.

Das ist jetzt fünf Jahre her - und Lucca gibt es immer noch. Und wenn man an schlechten Tagen auch manchmal den Eindruck hat, er hielte sich nur noch aus reiner Willenskraft auf den Beinen, so sprüht er trotzdem vor Lebensfreude und der Überzeugung, er habe aus diesem neuen Leben noch nicht das letzte Quäntchen Genuss und Abenteuer gequetscht - weshalb er unbedingt noch ein wenig hierbleiben müsse.

Aber eigentlich wollte ich Ihnen gar nichts von Lucca erzählen, sondern von jemand ganz anderem.

Als ich Fortunello vor fast vier Jahren kennenlernen durfte, hat er mich sehr beeindruckt.

Er war im buchstäblichen Sinn des Wortes ein Klasse Hund - ein souveräner, ausgeglichener Chef des Rudel und König in seinem kleinen Reich.

Der junge, verunsicherte Buddy verdankt ihm sein neues Zuhause, denn er lehrte ihn, dass Menschen eine Freude und keine Gefahr sind. Seine Mädels, die scheu sind und es wohl bleiben werden bis zu ihrem Ende, lernten im Windschatten seiner durch nichts zu erschütternden Persönlichkeit die Anwesenheit von uns Zweibeinern zumindest ohne Panik zu ertragen. 

Fortunello war ein Hund mit einem Job, und wenn auch sonst nichts in seinem Leben so war, wie es sein sollte - das machte ihn glücklich.

Doch auch Könige altern.

Vielleicht sogar schneller - wie eine Kerze, die an beiden Enden brennt.

Ich hätte ihn wohl nicht erkannt, als ich ihn dieses Jahr wieder gesehen habe.

Er ist ganz weiß im Gesicht und müde geworden, und weil er keine Zähne mehr hat, fällt ihm das Fressen schwer und er wird immer magerer.

In seinen Augen erkennt man, dass er das Ende des Regenbogens schon gesehen hat und die ihm verbliebene Zeit sich wohl eher nach Monaten als nach Jahren rechnet.

Niemand weiß, ob ein Lucca in ihm steckt, der dem Regenbogen den Rücken zukehrt, wenn er nur einen Grund zum Weiterleben findet.

Aber wenn er vorher wenigstens noch die Chance bekäme, eine Zeitlang den Rausch der neuen Gerüche, der nie gehörten Geräusche, der immer anderen Ausblicke zu erleben...

 Wenn er eine Zeitlang GERADEAUS GEHEN dürfte, ohne nach fünf Metern auf das Ende seiner Welt zu stoßen...

Wenn er eine Decke besäße - ein Stückchen nie gekannter Bequemlichkeit, einen kleinen Hundehimmel nach einem Leben auf Beton und Holz...

Ich denke, wenn wir Fortunello nur fragen könnten, dann würde er sagen, es hätte sich gelohnt...

 

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.